Interview mit Prof. Dr. med. Norbert Weiss

Prof. Dr. med. Norbert Weiss

Seit 2008 Direktor des Universitäts GefäßCentrum (UGC) am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden


Sehr geehrter Prof. Weiss: Wann war für Sie klar, eine Karriere in der Angiologie einzuschlagen?

Diese Karriereentscheidung hat sich erst im Laufe meiner Facharztausbildung zum Internisten ergeben. Wissenschaftlich habe ich mich seit Beginn meiner Tätigkeit mit Stoffwechselerkrankungen beschäftigt, die zu atherosklerotischen Gefäßerkrankungen führen können, wie die familiäre Hypercholesterinämie oder die Hyperhomocysteinämie. Da die klinische Konsequenz dieser Stoffwechsel-erkrankungen im Wesentlichen die Entwicklung von Gefäßerkrankungen in allen möglichen vaskulären Territorien ist, wollte ich mich nicht nur mit den Stoffwechselstörungen per se sondern auch mit den Komplikationen zu beschäftigen, und mich dazu nach der Internistenausbildung in der Kardiologie oder in der Angiologie weiter qualifizieren. Da die Angiologie das Fach ist, das meiner Ansicht nach ein breiteres Erkrankungsspektrum abdeckt und da die Angiologie traditionell in meiner damaligen Klinik stark vertreten war, habe ich dann die weitere klinische Ausbildung in der Angiologie eingeschlagen. Für mich war das eine sehr gute Möglichkeit, meine Forschungsinteressen mit der klinischen Versorgung der Patienten zu verbinden.

Was auf dem Gebiet der vaskulären Medizin fasziniert Sie am meisten?

Gefäßmedizin ist meiner Ansicht nach ein sehr großes Fach, da es sich mit Erkrankungen in allen vaskulären Territorien außer den intrazerebralen Gefäßen und den drei Herzkranzgefäßen, und mit alle Arten von Gefäßen, also Arterien, Venen und Lymphgefäßen, beschäftigt. Somit bestehen auch ganz viele Schnittstellen zu anderen Gebieten in der inneren Medizin. Daher ist es meiner Ansicht nach erforderlich, als Angiologe auch einigermaßen ein Allrounder in der Inneren Medizin zu sein. Darüber hinaus fasziniert mich, dass es in der Gefäßmedizin möglich ist, sowohl diagnostisch tätig zu sein, konservative Therapien durchzuführen, aber auch katheterinterventionelle Behandlungsverfahren. Zudem ist die vaskuläre Medizin ein Gebiet der Medizin, das sich aktuell schnell weiter entwickelt, so dass man auch immer am Ball bleiben muss.

Wie hat sich denn die vaskuläre Medizin seit Beginn Ihrer Karriere entwickelt? Was erwarten Sie für die Zukunft?

Ich denke, es sind im Wesentlichen aktuell vier Entwicklungsschritte. Im Bereich der antithrombotischen Medikation entwickelt sich durch die neuen Antikoagulanzien und Thrombozytenfunktionshemmung auf konservativer Ebene sehr viel. Die katheterinterventionellen Behandlungsverfahren haben das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten deutlich verändert hin zur besseren und für den Patienten schonenderen Revaskularisationsmöglichkeiten. Ein Fortschritt, der weiterhin anhält. Die Gefäßmedizin hat auch neue Krankheitsbilder entdeckt. So ist die Behandlung der schweren arteriellen Hypertonie z. B. durch die Möglichkeiten der renalen Denervation oder der Carotisschrittmacherimplantation auch ein Krankheitsbild der Gefäßmedizin geworden. Die Schnittstellen zu Rheumatologie haben sich mit Einführung neuer Immunsuppressiva-Therapien auch für Patienten mit entzündlichen Erkrankungen großer Gefäße deutlich weiter entwickelt. Und dann zeichnet sich am Horizont ab, dass regenerative Therapieansätze zur Stimulierung der Arteriogenese doch klinische Realität werden können, verschiedene Ansätze zur Stammzelltransplantation sind ja derzeit in der klinischen Prüfung.

Wer bzw. was hat Sie in Ihrer beruflichen und wissenschaftlichen Entwicklung maßgeblich beeinflusst?

Dafür, dass ich eine akademische Laufbahn eingeschlagen habe, war im Wesentlichen Prof. Walter Brendel verantwortlich. Er war mein Doktorvater am Institut für Chirurgische Forschung der Universität München. Ich habe ich schon früh im Studium begonnen, studienbegleitend wissenschaftlich zu arbeiten. Walter Brendel hat uns vorgelebt, wie man aufbauend auf klinischen Überlegungen wissenschaftliche Fragestellungen entwickelt, daraus Hypothesen formuliert, die Experimente zu plant, um diese zu überprüfen, und dann das Ganze beurteilt. Ganz früh schon als junger Student hat er mich auf wissenschaftliche Tagungen mitgenommen, wo ich meine Forschungsergebnisse auch selbst vorstellen und diskutieren konnte. Das hat mir gezeigt, dass wissenschaftliche Medizin sehr kreatives Arbeiten ist und mit Neugier und Innovationsfreude erfüllen kann. Ein zweites wesentliches Vorbild war Prof. Joseph Loscalzo, damals am Whitacker Cardiovascular Institute in Boston, der jetzt am Brigham and Womens Hospital in Boston ist. Ich hatte das große Glück, in seiner Forschungsgruppe für mehrere Jahre in Boston arbeiten zu können, wodurch ich den Grundstock für meine Habilitation und spätere weitere Forschungsarbeiten gelegt habe. Daneben gab es noch ein paar ganz wichtige klinische Lehrer. In der Inneren Medizin waren das sicher Prof. Nepomuk Zöllner und Prof. Christiane Keller und in der Angiologie Prof. Florentin Spengel und Prof. Ulrich Hoffmann, die mir akademische Medizin beigebracht haben. Nicht zuletzt waren es die vielen Patienten, die ich im Laufe meiner Berufstätigkeit bisher gesehen habe. Denn von jedem kann man etwas lernen und steht vor der ständigen Herausforderung, Krankheiten und Behandlungswege zu verstehen.

Was war Ihr denkwürdigster angiologischer Fall?

Das ist eine ganz schwierige Frage, denn ich kann mich an sehr viele spannende und interessante Patienten erinnern. Die denkwürdigsten Fälle sind für mich immer die gewesen, bei denen entweder die Differentialdiagnose ganz schwierig war oder besonders tragische oder dramatische Krankheitsverläufe auftreten. Aber um konkrete Beispiele zu nennen, war es doch sehr wichtig für mich, mich insbesondere mit jungen Patienten mit Gefäßerkrankungen zu beschäftigen und da kann ich mich u.a. an eine Reihe von jungen Sportlern erinnern mit dramatischen Gefäßerkrankungen, wie Volleyballspielern mit Dissektionen der A. brachialis oder der Entwicklung von Ulnarisaneurysmata mit peripheren Embolisationen, an die Versorgung eines Mountainbikers mit gedeckter Ruptur der thorakalen Aorta nach Sturz oder einige jungen Patientinnen mit schweren Verlaufsformen der Takayasu-Arteriitis.

Sie sind Mitglied der Kommission Fort- und Weiterbildung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie. Was raten Sie Studenten und jungen Ärzten, die sich für die Facharztausbildung Innere Medizin/Angiologie interessieren?

Da die Angiologie doch sehr viele Schnittstellen mit anderen Disziplinen der Inneren Medizin und darüber hinaus aufweist, ist es meiner Ansicht nach erforderlich, zunächst eine solide und breite internistische Grundausbildung zu erlangen, um das Fach der Angiologie auch verstehen und ausüben zu können. Meiner Ansicht nach ist die Angiologie dann auch ein Fach, das besonders von einer guten Anamnese und klinischen Untersuchung der Patienten lebt, ergänzt durch selbst durchzuführende diagnostische Tests einschließlich einer guten Ultraschalluntersuchung. Die Entwicklung dieser klinischen Fähigkeiten ist für die Angiologenausbildung ganz wichtig. Angiologie ist zudem ein Fach, das meiner Ansicht nach von der engen Interaktion mit anderen Fachdisziplinen, insbesondere der Gefäßchirurgie und der interventionellen Radiologie lebt, so dass es im Rahmen der Weiterbildung auch wichtig ist, diese Fachdisziplinen kennenzulernen und grundlegende Fähigkeiten auch in interventionellen Therapieverfahren zu erwerben. Angiologie ist aus meiner Sicht nach wie vor ein Fach, das sehr große Zukunftsperspektiven bietet, sowohl im niedergelassenen Bereich, als auch im klinischen Bereich und natürlich auch im wissenschaftlichen Bereich, so dass sich eine solide Ausbildung hier sicherlich lohnt und weiterhin gute Zukunftsperspektiven bietet.

Das Interview führte Michael Czihal.