Interview mit Prof. Linnemann

Prof. Dr. med. Birgit Linnemann

Fünf Fragen an Frau Prof. Birgit Linnemann, Leiterin der Angiologie am Universitätsklinikum Regensburg und seit 2020 Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Angiologie.


Frau Prof. Linnemann, beschreiben Sie uns bitte Ihren persönlichen Weg in die Angiologie!

Für meine internistische Facharztausbildung bin ich in einer Klinik angestellt gewesen, die zusätzlich die Schwerpunkte Diabetologie und Angiologie hatte. Insofern hatte ich frühzeitig die Möglichkeit, in die Gefäßmedizin hineinzuschnuppern. Von Seiten meines damaligen Chefs und des angiologischen Oberarztes wurde mein Interesse an der Ultraschallgefäßdiagnostik gefördert, so dass die Weichen in meiner medizinischen Ausbildung rasch gestellt waren. Als junge Assistenzärztin habe ich auch viele DEGUM-Ultraschallkurse begleitet, die regelmäßig in unserer Klinik abgehalten wurden. Hinzu kommt, dass Diabetologie und Angiologie gut zusammenpassen, da insbesondere der Typ-2-Diabetiker frühzeitig und akzeleriert eine Arteriosklerose entwickelt mit den sich anschließenden Komplikationen wie periphere AVK und diabetisches Fußsyndrom.

Weshalb sollten junge, interessierte KollegInnen den Weg in die Angiologie einschlagen?

Ausschlaggebend für meinen Weg in die Angiologie war und ist es, dass sich das Fach Angiologie nicht nur auf ein Organsystem beschränkt. Da sämtliche Organe eine Perfusion benötigen, sind die Krankheitsmanifestationen sehr vielseitig. Dabei sind neben einer Arteriosklerose und Thrombosen vielfältige Pathologien für Gefäßstenosen und -verschlüsse von Arterien und Venen zu berücksichtigen. Und letztlich haben wir als Angiologen nicht nur die Möglichkeit, mit Ultraschall und funktioneller Gefäßdiagnostik Krankheiten zu diagnostizieren, sondern können in vielen Fällen neben der medikamentösen Therapie durch den Einsatz katheterinterventioneller Techniken Gefäßprobleme direkt angehen. Da uns Gefäße und Gefäßerkrankungen überall im Körper begegnen, ergibt sich eine enge Vernetzung mit den Kollegen benachbarter Fachdisziplinen. Besonders eng ist die Zusammenarbeit insbesondere mit den Kollegen der Gefäßchirurgie, Radiologie, Diabetologie, Nephrologie, Kardiologie, Rheumatologie, Gynäkologie, Onkologie und der Hämostaseologie.

Gibt es einen Fall in Ihrer Karriere, den Sie besonders in Erinnerung behalten haben?

Es gibt für mich nicht „den“ herausragenden Fall, sondern über die Jahre viele Fälle, die mir in Erinnerung geblieben sind. Zwei möchte ich anführen. Erstens eine ältere Dame mit einer PAVK, die bei einer Claudicatio intermittens mit PTA und Stentimplantationen in der femoralen Strombahn in sehr kurzen Abständen zu rezidivierenden Restenosen und In-Stent-Stenosen neigte. Multiple endovaskuläre Interventionen brachten jeweils nur kurzfristig eine Beschwerdebesserung. Im weiteren Verlauf wurde bei auffallend echoarmen, nicht immer konzentrischen Wandverdickungen eine Großgefäßvaskulitis diagnostiziert. Mit der Aufnahme einer Glucocorticoid-Therapie kam es schlagartig zu einer Stabilisierung des Krankheitsbildes und das klinische Bild der PAVK war danach über viele Jahre kein Problem mehr. Im zweiten Fall handelt es sich um einen Patienten, der im jungen Erwachsenenalter ausgedehnte Thrombosierungen entwickelte mit Beteiligung von Becken-Beinvenen, Vena cava inferior und des rechten Vorhofs. Trotz adäquater Antikoagulation entwickelte der Patient außerdem eine Pfortaderthrombose. Die Ätiologie der Thrombosen blieb zunächst unklar. Bei diesem Patienten führte die damals noch relativ neue Testung auf eine JAK2V617F-Mutation zur Diagnose einer myeloproliferativen Erkrankung, die allein am Blutbild noch nicht abzulesen war. Mit der Einleitung einer zytoreduktiven Therapie gelang es, weiteren Thromboserezidiven vorzubeugen. Beide Fälle haben mir gezeigt, dass die Krankheitsbilder „PAVK“ und „Thrombose“ auf den ersten Blick einfach zu therapieren sind, dass aber bei komplikationsträchtigem Verlauf eine weiterführende Ursachenabklärung seltene Erkrankungen aufdecken können, die eine besondere Therapiestrategie erfordern.

Seit 2012 sind Sie auch Leiterin der Sektion Hämostaseologie in der Deutschen Gesellschaft für Angiologie. Was fasziniert Sie an der Hämostaseologie?

Für mich gehören Angiologie und Hämostaseologie zusammen. Da das Blut durch die Gefäße fließt, ergeben sich zwangsläufig Interaktionen zwischen Gefäßwand und Blutbestandteilen, so dass es nicht verwundert, dass Störungen der Hämostase mit Gefäßverschlüssen und andererseits Gefäßwanderkrankungen, insbesondere wenn sie Struktur oder Funktion des Gefäßendothels betreffen, Einfluss auf das Gerinnungssystem haben. Es hilft für das Grundverständnis von Gefäßerkrankungen ungemein, sich auch mit der Gerinnung gut auszukennen, zumal antithrombotische Therapiestrategien ein wesentlicher Bestandteil in unseren Therapiestrategien sind.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft! Was erwarten Sie an Weiterentwicklungen und Fortschritten im Bereich der Angiologie in den nächsten Jahren?

Die Angiologie ist als kleinstes und jüngstes Fachgebiet in der Inneren Medizin gestartet. Mit den Jahren ist es zu einem enormen Wissenszuwachs und Ausweitung des Faches gekommen, und ich erwarte, dass sich diese Entwicklung auch in Zukunft so fortsetzt. Zum einen sind in den letzten Jahren viele neue Medikamente auf den Markt gedrängt, die uns helfen, eine antithrombotische Therapie zielgerichteter und risikoärmer und die Behandlung von vaskulären Risikofaktoren intensiver anzugehen. Zum anderen ergeben sich mit einer alternden Gesellschaft und der Zunahme von Arteriosklerose und arteriellen Gefäßerkrankungen besondere Herausforderungen im Bereich der katheterinterventionellen Techniken zur Wiedereröffnung von Gefäßen. Hier wurden in den letzten Jahren viele neue Devices entwickelt (z.B. medikamentenfreisetzende Ballons und Stents, Atherektomie- und Thrombektomiesysteme), mit denen die Wiedereröffnung von Gefäßen auf minimal-invasivem Weg und mit verkürzten Krankenhausverweildauern möglich ist. Diese Entwicklung ist mit Sicherheit noch nicht am Ende und es bleibt spannend, was die nächsten Jahre uns hier bringen werden.