Aspirin wirksam in der Sekundärprophylaxe der venösen Thromboembolie?

Etwa zwanzig Prozent der Patienten mit idiopathischer venöser Thromboembolie erleiden ein Rezidiv innerhalb der ersten zwei Jahre nach Absetzen der Antikoagulation. Eine verlängerte Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten senkt zwar dieses Rezidivrisiko, jedoch auf Kosten eines erhöhten Blutungsrisikos und unter Inkaufnahme der weiter erforderlichen INR-Kontrollen.

Auf der Suche nach alternativen medikamentösen Strategien zur Reduktion des mittel- und langfristigen Rezidivrisikos nach idiopathischer venöser Thromboembolie haben nun zwei randomisierte multizentrische Studien den Stellenwert von Acetylsalicylsäure (ASS) in dieser Indikation geprüft.

In der „Warfarin and Aspirin“ (WARFASA)-Studie, einer multizentrischen, untersucher-initiierten, randomisierten, doppelblinden Studie wurden 402 Patienten eingeschlossen, die aufgrund einer ersten idiopathischen venösen Thromboembolie bereits eine 6- bis 18monatige Therapie mit oralen Antikoagulanzien komplettiert hatten. 205 Patienten wurden in einen Studienarm randomisiert, der ASS in einer Dosierung von 100 mg/die erhielt, während 197 Patienten in den Plazeboarm randomisiert wurden. Primärer Studienendpunkt war die rezidivierende venöse Thromboembolie. Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 24,6 Monaten erlitten in der mit ASS therapierten Gruppe 6,6% der Patienten pro Jahr ein Rezidiv, eine signifikant geringere Rate verglichen mit  11,2% der Patienten pro Jahr in der Plazebogruppe (Hazard ratio für ASS 0.58; 95% Konfidenzintervall  0,36 bis 0,93). Unerwünschte Nebenwirkungen, insbesondere die Rate relevanter Blutungen (jeweils 1 pro Studienarm) waren in beiden Gruppen vergleichbar häufig. Die Autoren schlussfolgern, dass die Therapie mit ASS 100 mg/die bei nicht erhöhtem Blutungsrisiko das Rezidivrisiko bei Patienten mit idiopathischer venöser Thromoembolie nach Absetzen der therapeutischen Antikoagulation reduziert.

Bei der „Aspirin for the prevention of recurrent venous thromboembolism after a first unprovoked event“ (ASPIRE)-Studie handelte es sich ebenfalls um eine untersucher-initierte, multizentrische Studie, die mit 822 Patienten jedoch eine deutlich größere Studienpopulation untersuchte. Die Patienten, die aufgrund einer idiopathischen venösen Thromboembolie mit oralen Antikoagulanzien behandelt worden waren, wurden doppelblind randomisiert auf einen Studienarm mit ASS-Therapie in einer Dosis von 100 mg/die (411 Patienten) und einen Studienarm mit Plazebogabe (411 Patienten). Primärer Studienendpunkt war wiederum das Rezidiv der venösen Thromboembolie. Nach einer im Vergleich zur WARFASA-Studie längeren Nachbeobachtungszeit von 37,2 Monaten betrug die jährliche Rezidivrate 4,8% im ASS-Arm und 6,5% im Plazeboarm, entsprechend einem nicht signifikanten Unterschied (hazard ratio für ASS 0,74; 95% Konfidenzintervall 0.52 to 1.05; P=0.09. Die Rate sekundärer kombinierter Endpunkte (z.B. Rezidiv der venösen Thromboembolie, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Tod aus kardiovaskulärer Ursache) konnte in der ASS-Gruppe hingegen signifikant reduziert werden (Hazard ratio für ASS 0.66; 95% CI, 0.48 to 0.92; P=0.01). Das Risiko von Majorblutungen bzw. klinische relevanten Minorblutungen unterschied sich nicht zwischen beiden Gruppen (jährliche Rate 1,1% im ASS-Arm vs. 0,6% im Plazebo-Arm). Die Autoren schlussfolgern, dass Patienten mit idiopathischer venöser Thromboembolie von einer ASS-Therapie nach Absetzen der therapeutischen Antikoagulation profitieren. Dieser Nutzen resultiert jedoch in erster Linie aus einer Reduktion vaskulärer Ereignisse in der arteriellen Strombahn, nicht aus einer Reduktion von Rezidiven venöser Thromboembolien.

Kommentar von Prof. E. Lindhoff-Last, Frankfurt:

Der thrombozytenaggregationshemmende Effekt von Aspirin ist seit mehr als 40 Jahren bekannt. Arterielle Thromben sind thrombozytenreich, daher kann Aspirin  erfolgreich zur Primär- und Sekundärprävention arterieller Thrombosen eingesetzt werden. Fraglich war stets, inwieweit Aspirin auch fibrinreiche, venöse Thrombosen verhindern kann. Es gab bisher nur eine einzige vor mehr als 30 Jahren durchgeführte kleine Studie, die  zeigte, dass Aspirin in hoher Dosierung (1200mg Tagesdosis) in der Kombination mit Dipyridamol bei Patienten mit rezidivierenden venösen Thrombosen trotz Cumarintherapie im Vergleich zu Placebo signifikant venöse Rezidivthrombosen verhindern konnte.

Aktuell wurde jetzt erstmals eine etwa 40% signifikante Risikoreduktion venöser Rezidivthrombosen unter Aspirin in niedriger Dosierung (100mg Tagesdosis) im Vergleich zu Placebo in der Sekundärprävention spontaner venöser Thrombosen in der WARFASA-Studie bestätigt.Das Blutungsrisiko war im Vergleich zu Placebo nicht erhöht. Dagegen konnte keine signifikante Risikoreduktion bzgl. spontaner venöser Rezidivthrombosen in der ASPIRE-Studie gefunden werden, obwohl etwa doppelt so viele Patienten in die jeweiligen Behandlungsarme randomisiert worden waren. Allerdings waren hier möglicherweise generell Patienten mit einem niedrigeren Rezidivthromboserisiko im Vergleich zur WARFASA-Studie rekrutiert worden, da die Rethromboserate in der Placebogruppe in dieser Studie im Vergleich zur entsprechenden Placebogruppe der WARFASA-Studie fast halbiert war.

In der präspezifizierten gemeinsamen Meta-Analyse beider Studien konnte sowohl eine signifikante Risikoreduktion venöser Thromboembolien als auch von vaskulären arteriellen Ereignissen gefunden werden ohne erhöhtes Blutungsrisiko.

Sind diese Ergebnisse bereits heute in den klinischen Alltag übertragbar?
Hier sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  1. Patienten mit spontanen venösen Thrombosen weisen ohne Antikoagulation ein etwa 10% iges jährliches Risiko für eine Rezidivthrombose auf. ASS scheint nach der „akuten“ Behandlungsphase einer solchen Thrombose eine Absenkung dieses Risikos um 26 - 42% zu bewirken, während neue orale Antikoagulantien (NOAK) wie Dabigatran oder Rivaroxaban eine 80-90% Risikoabsenkung erreichen. Dies wird jedoch bei Einsatz von NOAKs  meist durch ein signifikant erhöhtes Blutungsrisiko „erkauft“.
  2. Die untersuchten Patientenkollektive waren sehr selektioniert (nur idiopathische venöse Thrombosen, keine schwerwiegenden Thrombophilien, Patienten mit Blutungsneigung unter Vitamin K Antagonisten wurden ausgeschlossen etc.), daher können die Ergebnisse derzeit noch nicht umfassend in den klinischen Alltag übertragen werden.
  3. Die Anzahl der jeweils eingeschlossenen Patienten war im Vgl. zu ähnlichen placebo-kontrollierten Studien in beiden Studien relativ niedrig, so dass das Blutungsrisiko für schwerwiegende Blutungen auf Grund der niedrigen Fallzahlen unterschätzt worden sein könnte.
  4. Sicher müssen weitere Studienergebnisse abgewartet werden, bevor Aspirin als Alternative zu Cumarinen oder NOAK in der „Spätphase“ der Sekundärprävention spontaner venöser Thrombosen eingesetzt werden sollte.
  5. Bei Patienten mit idiopathischer venöser Thromboembolie und zusätzlichen kardiovaskulären Ereignissen in der Vorgeschichte kann nach initialer Antikoagulation mit Vitamin K Antagonisten oder NOAC anschließend Aspirin zur  dualen Sekundärprävention venöser und arterieller Ereignisse im Einzelfall bereits jetzt erwogen werden.


 

Links zu den Abstracts der Studien:

WARFASA: http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1114238
ASPIRE: http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1210384